Kann Spekulation an der Börse süchtig machen?

Glücksspiel kann bekanntlich süchtig machen. Das wird uns immer wieder aufs Neue bei ganz banalen, alltäglichen Dingen gesagt. Zum Beispiel wenn wir einen Lottoschein abgeben. Gilt das auch für die Spekulation?

„Na, was macht die Zockerei?“, fragte mich neulich ein alter Bekannter, mit dem ich mich auf ein Bier traf. „Was meinst du mit Zocken?“, fragte ich zurück und mein Bekannter eröffnete mir, dass ich angeblich suchtgefährdet bin, weil ich in meinem Job als Trader täglich an der Börse spekuliere. Ob Spekulation auch süchtig machen kann, habe ich mich bis zu diesem Tag noch nie gefragt. Aber es lohnt sich, dieser Frage einmal nachzugehen. Der Börsenhandel, also die Spekulation auf Kursveränderungen von Wertpapieren und anderen handelbaren Dingen, ähnelt dem Glücksspiel. Und je risikoreicher eine Spekulation ist, desto größer ist auch das Risiko eines Verlustes. Wie beim Spiel auch.

Der Spruch ‚Neues Spiel, neues Glück’ gilt für die Spekulation an der Börse in gewisser Weise auch. Ich schließe zum Beispiel eine verlustreiche Position in der Hoffnung, mit einem neuen Trade Profit zu machen. Ist die Spekulation an der Börse dem ‚Spiel’ gleichzusetzen. Und: Kann sie auch süchtig machen? Obwohl niemand das Geschehen an der Börse berechnen kann und es auch kein Geheimnis ist, dass das die Spekulation an der Börse ein umfangreiches Fachwissen voraussetzt, stürzen sich immer wieder tausende von Kleinanlegern regelmäßig in den finanziellen Ruin.


Spekulation und Glücksspiel

Die Anbieter von Glücksspielen, sogar die staatlichen Lotteriegesellschaften, sind per Gesetz gehalten, ihre Teilnehmer darauf hinzuweisen, dass ‚Glücksspiel süchtig machen’ kann. Kann demzufolge auch die Spekulation an der Börse süchtige Züge haben? Nach Meinung von Suchtexperten, die seit längerem mit dem Thema beschäftigen, sind auch Börsenspekulanten – ähnlich wie Spieler – einer regelrechten Suchtgefahr ausgesetzt. Sie sind der Ansicht, dass sich ihre enorme nervliche Belastung durch einen neuen ‚Deal’ kurzfristig in Entspannung wandelt, um gleich anschließend von der Gier weitergetrieben zu werden. Bis zu dem Punkt, an dem der Höhenflug beendet ist und der Markt in die andere Richtung dreht – nach unten.

Bezieht man die Spekulation auf das Gros der Privatanleger, dem das nötige Hintergrundwissen fehlt, um Kursentwicklungen neutral und ohne Emotionen einschätzen zu können, ist diese Ansicht erst einmal nicht falsch. Wie das Verhalten der Mehrheit bei Börsenbooms immer wieder zeigt. Besonders gefährlich wird die Spekulation auf dieser Ebene, wenn besagte Anleger den richtigen „Ausstieg“ verpassen und ihren Einsatz verlieren. Getreu dem Motto „Neues Spiel, neues Glück“ werden oft Schulden gemacht, weil man dann ja wieder – durch neue Spekulation – eine Chance auf Gewinn hat.


Wenn Spekulation zu einem Teufelskreis wird

Ein fataler Teufelskreis, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in die finanzielle Katastrophe führt. Viele Experten warnen eindringlich vor diesen ‚Risiken der Spekulation’ bei immer wiederkehrender Börseneuphorie, denn unter den Klienten der Schuldnerberatungsstellen befinden sich leider immer mehr Privatanleger, die sich an der Börse „verspekuliert“ haben.

Dieses Phänomen, das man auch bei der Spekulation an der Börse’ immer wieder feststellt, hat auch einen psychologisch-wissenschaftlichen Hintergrund: Eine Sucht, die nicht durch einen bestimmten Stoff ausgelöst und erhalten wird, sondern durch das Verlangen nach bestimmten Gefühlszuständen, wird als ‚stoffungebundene Suchtform’ bezeichnet. Bei der Spielsucht ist es zum Beispiel gerade die Ungewissheit und das Risiko des Ausgangs, die für eine ansteigende Erregung des Süchtigen sorgt. Bei einem Gewinn löst sich die Spannung zwar für kurze zeit, doch der Körper verlangt immer wieder nach den im Erregungszustand ausgeschütteten Botenstoffen, den Endorphinen.


Kann man bei Börsen – Spekulation von Sucht sprechen?

Eine Parallele zur Drogensucht besteht bei der Spekulation an der Börse darin, dass sich der Endorphin Spiegel bei schnellen, kurzfristigen Börsengeschäften, wie etwa dem Day- Trading zwischenzeitlich kaum noch normalisieren kann. Der Körper gewöhnt sich an die Dauererregung und die durch permanente Erregung gebildeten Endorphine wirken als so genannte ‚körpereigene Drogen’. Körper und Psyche verlangen nach immer stärkerer Stimulation. In diesem höchst emotionalen Zustand der Spekulation neigt der unerfahrene Privatanleger auch noch dazu, aus dem Überangebot an ‚sofort umsetzbaren’ Kauf- und Verkaufsempfehlungen vieler Gurus und Berater nur die für ihn ‚günstigen’ Informationen auszuwählen, was meist zu Fehleinschätzungen führt. Das ist ähnlich wie bei frisch Verliebten, die alles durch eine rosarote Brille sehen. Das macht diesen Typ Anleger natürlich zu Freiwild für diejenigen, die an seinen Geschäften mittels Provisionen und Honorare verdienen.

Ist deshalb jeder Privatanleger, der sich an der Börse engagiert gleich suchtgefährdet? Ist Spekulation eine Sucht? Natürlich nicht! Dass der vernünftige Umgang mit den kleinen und großen Summen sehr gut möglich ist und auch sehr profitabel sein kann, beweisen die vielen Börsianer, die durch geschickte Investitionen in Finanzaktiva kleine und auch große Vermögen aufgebaut haben. Die Mehrzahl der Privatanleger und Hobby-Spekulanten verpasst aber leider regelmäßig den richtigen Zeitpunkt zum Einstieg und/oder Ausstieg. Das liegt insbesondere am mangelhaften Know How.


Spekulation braucht Know How

Beispiele, dass die Spekulation an der Börse zum Glücksspiel geworden ist, gibt es immer wieder. Während der Boomphase des Neuen Marktes kauften immer mehr Deutsche Aktien von Unternehmen, von denen sie nicht einmal wussten, welche Geschäftsidee diese verfolgten. Der Nachbar hat gekauft und Gewinn gemacht, also kaufe ich auch und mache Gewinn. Spekulation an der Börse ist doch so einfach. Gründliche Recherche oder zumindest das kleine Einmaleins der Börse ist ja nur was für die Konservativen, die Langweiler – nicht aber für die „tollen Typen“ die sich als den physischen Beweis sehen, dass Gordon Gekko lebt und die ihren Gewinn bereits in die Leasingraten des flotten Sportwagens investiert haben, noch bevor er überhaupt realisiert ist. Genau diejenigen sind es dann, die nüchterne Spekulation in ein schlechtes Licht rücken und sich selbst als Opfer für die „Raubtiere“ hinter den Kulissen anbieten. Jeder Privatanleger mit ein bisschen gesundem Menschenverstand kann man durch ein wenig kritische Analyse der verschiedenen Unternehmen und geschicktes Aufteilen seines Kapitals in solide und risikoarme Finanzaktiva (z.B. Bundeswertpapiere) einerseits und risikoreichere Papiere andererseits dem persönlichen Crash vorbeugen.


Ja, Spekulation kann zur Such werden

Ähnlich wie bei der Alkoholabhängigkeit sind auch bei der Spekulation an der Börse besonders die Menschen suchtgefährdet, die sich und ihre Emotionen nicht unter Kontrolle haben. Wie beim Poker, Roulette oder einem anderen Glücksspiel gibt es auch an der Börse nur eine kleine Anzahl von Mitspielern, die ihre Emotionen total unter Kontrolle haben und sie auch bewusst ausschalten können. Das sind diejenigen, von denen man regelmäßig in den Medien hört, wenn mal wieder ein paar Millionen durch geschickte Spekulation gemacht haben. Wer nach einem Verlust denkt, er könne das System überlisten, der handelt irrational und ohne Verhaltenskontrolle.