Ist Trading Spekulation oder Strategie

Viele Leute diskutieren gerne darüber, ob Trading Spekulation oder Strategie ist. Diese Frage lässt weder mit Ja oder Nein beantworten. Wie immer liegt es im Auge des Betrachters. In diesem Artikel gehe der Sache einmal etwas ausführlicher auf den Grund.

Ihr kennt das sicher: Auf einer Party oder in einem netten Small Talk fragen die Leute nach, was man denn so den ganzen Tag lang macht. Wer antwortet „Ich bin Börsenhändler, oder Trader“, dann ist das Gesprächsthema auf einem Punkt angekommen, an die Leute immer mehr Fragen stellen. Zum Beispiel: Ist Trading nun Spekulation oder arbeitet ihr nach einer Strategie? Börsengeschäfte und Trading werden von manchen Zeitgenossen leider immer noch mit Roulett und wir Trader mit Zockern verglichen. Erörtere ich diese Frage mit einem professionellen Spieler, reagiert dieser meist mit einer gewissen Verärgerung. Denn sowohl beim Roulette als auch bei Black Jack kann man sehr strategisch und systematisch vorgehen. Das gilt ebenso fürs Trading. Spekulation und Strategie sind die beiden Seiten, ein und derselben Medaille.

Was so landläufig und meist aus Unwissenheit gemeint ist, ärgert mich. Man versucht damit auszudrücken, dass Trading an der Börse reines Glücksspiel und unkalkulierbare Wetten sind. Das ist absolut falsch! Obwohl jeder halbwegs vernünftige Trader alles daran setzt, um den Faktor „Glück“ soweit wie möglich auszuschalten, muss man der Fairness halber doch zugeben, dass die Spekulation an der Börse, also Trading, mit dem Roulette zwei Dinge gemeinsam hat: Sowohl der Trader als auch der Spieler muss zwei wichtige Kriterien kalkulieren, nämlich die Höhe des Einsatzes und die Möglichkeiten des Ausgangs einer Position. Trading hat ebenso mit Spekulation, als auch mit dem Schachspiel einiges gemeinsam: Die Strategie, das wohl überlegte Vorgehen!


Chancen und Risiken

Eine Spekulation ist der Versuch, auf Basis von Zukunftserwartungen mit einer bestimmten Position Profit zu erwirtschaften. Ganz wichtig ist hierbei der Wahrscheinlichkeitswert. Und damit sind wir bei der Strategie. Der Wahrscheinlichkeitswert zeigt, wie häufig voraussichtlich das Ziel beim Trading erreicht werden kann, Gewinn zu machen, wenn eine bestimmte Anzahl von Versuchen dazu unternommen wird. Der Wahrscheinlichkeitswert beruht auf andauernder Wiederholung eines Versuchs und kann in einer Skala von „0“ bis „100“ gemessen werden.

Ist Trading nun Spekulation oder Strategie? Genau genommen beides. Keine Kursentwicklung kann exakt vorausgesagt werden! Wenn ihr eine Position eingeht, solltet ihr auf jeden Fall eine ungefähre Vorstellung über mögliche Entwicklungen der Kurse haben. Je nachdem, wie optimistisch oder pessimistisch eure Vorstellung beim Trading ist, werden den unterschiedlichen Möglichkeiten einer Kursentwicklung entsprechende Wahrscheinlichkeitsgrade zugeordnet. Das ist völlig normal, denn jeder Mensch ordnet dem Eintreten eines Ereignisses eine Wahrscheinlichkeit zu. Man spricht von einer objektiven Wahrscheinlichkeit, sobald diese durch neutrale, also objektive Eckdaten gestützt wird. Die subjektive Wahrscheinlichkeit lässt sich natürlich nicht errechnen, die objektive aber sehr wohl! Das gilt auch und gerade beim Trading an der Börse.

Ermittlung des Wahrscheinlichkeitswertes

Betrachten wir dazu Trading und das berühmte Münzenwerfen. Hier liegen Spekulation und Strategie eng beieinander: Es gibt nur zwei mögliche Ereignisse, Kopf oder Zahl! Für jede der beiden Möglichkeiten beträgt die Wahrscheinlichkeit 50 Prozent. Noch ein Beispiel: Der Spieler möchte aus einem Kartenspiel mit 32 Karten ein Ass ziehen. Wie groß ist seine Chance, wenn er nur einmal ziehen darf? Die Wahrscheinlichkeit beträgt 4/32 oder 12,5 Prozent. Also doch Spekulation?

In der Lehre der Statistik – und damit sind wir bei der Strategie – ergeben Wahrscheinlichkeit und Gegenwahrscheinlichkeit zusammen immer 100 Prozent, wobei die positive Wahrscheinlichkeit rechnerisch mit „P“ und die negative mit „Q“ gekennzeichnet wird. Die statistische Wahrscheinlichkeitsformel lautet also:

P + Q = 100 Prozent

Nehmen wir als Vergleich zum Trading das Beispiel mit den 32 Karten. Die Wahrscheinlichkeit P, ein Ass zu ziehen, beträgt 4/32 oder 12,5 Prozent. Wie groß ist nun die Gegenwahrscheinlichkeit, also die Chance, kein Ass zu ziehen?

P + Q = 100 %
12,5 % + Q = 100 %
Q = 100 – 12,5 %
Q = 87,5 %

Die Wahrscheinlichkeit, kein Ass zu ziehen beträgt also 87,5 Prozent. Auch wenn ihr eure Wahrscheinlichkeitsrechnung erstellt habt, ist noch immer nicht klar, ob ihr die fragliche Position eröffnen sollt oder nicht. Denn eine weitere Frage beim Trading lautet: Welchen Wert hat diese Position? In der statistischen Rechnung (Strategie) kann man den Wert Gewinnchance, statistisch erwartungswert (E) genannt, mit folgender Formel errechnen:

E = (P x G) – (Q x V)

Spekulation vs. Strategie: Ermittlung des Erwartungswertes beim Trading Bei einer x-beliebigen Position wird beim Trading mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent ein Gewinn (G) von 5.000 Euro und mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent ein Verlust (V) von 1.000 Euro erwartet. Der erwartungswert beträgt:


P = 0,2, Q = 0,8; G = 5.000 €, V = 1.000 €
E = (0,2 x 5.000 €) – (0,8 x 1.000 €), E = 200 €

Im Durchschnitt können wir also einen Gewinn von 200 Euro erwarten. Der Erwartungswert ist beim Trading jedoch nicht der einzige Anhaltspunkt, auch die Tendenz zum Gewinn und zum Risiko bzw. die Höhe und Wahrscheinlichkeit von Gewinnen und Verlusten selbst Spielen eine gewichtige Rolle. Ähnlich ist das beim Trading. Das klingt kompliziert, oder? Ist es aber nicht! Stellt euch zum Vergleich von Spekulation und Strategie zwei Wettmöglichkeiten vor:

 Ihr werft eine Münze und gewinnt bei Kopf 100 Euro, während ihr bei Zahl 50 Euro verliert.

 Ihr setzt euer gesamtes Vermögen von 100.000 Euro ein und werft wieder die Münze. Bei Kopf bekommt ihr 100.000 Euro dazu, bei Zahl verliert ihr alles.

Zurück zu Frage ‚Ist Trading Spekulation oder Strategie?’ Das Chancen-Risiko- Verhältnis beträgt 2 zu 1, da die Wahrscheinlichkeit zu gewinnen bzw. zu verlieren in beiden Möglichkeiten gleich groß ist. Und dennoch unterscheiden sich die beiden Wetten deutlich. Auf welche der beiden Wetten würdet ihr euch einlassen? Gewinn und Verlust (Spekulation) haben für jeden Menschen einen anderen Stellenwert. In einem unsicheren Umfeld (Strategie) reagieren die meisten Menschen nicht unbedingt automatisch auf den höchsten erwarteten Gewinn, sondern streben das für ihre Ausgangsposition bestmögliche an. Genauso verhält sich der gewissenhaft kalkulierendem Börsenhändler/Spekulant beim Trading.