Wer Geschäfte an der Börse machen will, der muss sich im Klaren sein, dass es dabei weniger um sachliche, mathematische oder logische Grundsätze geht. Nein, Börse hat mit Psychologie zu tun. Mit Angst und Gier.
„Die ist Gier ist gut“, hat Gordon Gekko im Film Wall Street einmal gesagt, „die Gier ist menschlich. Auf die Gier ist Verlass!“ Wie Recht der Filmheld damit hat, erleben wir tagtäglich an der Börse. Kurse steigen rasant, um genauso schnell wieder zu fallen. Unzählige ‚Insider’ und Analysten versuchen und immer wieder zu erklären, warum das so ist und vor allem: Wie wir stets auf der richtigen Seite stehen können. Nun, extreme Kursschwankungen mögen rechnerische und nachvollziehbare Gründe haben. Aber wenn wir einmal genau hinschauen, erkennen wir, was in den meisten Fällen wirklich dahinter steckt: Angst und Gier!
Was hat die Gier denn nun wirklich mit dem Geschehen an der Börse zu tun? Schauen wir es uns doch einfach mal an. Am Beispiel des Handels an der Börse hierzulande: Das Interesse in der breiten Bevölkerung an Aktien und Börse war seit Entstehung der Bundesrepublik Deutschland eigentlich bis Mitte der 90er Jahre relativ gering. Zu gering meinten viele und so wurde beschlossen, ein zweites deutsches Wirtschaftswunder ins Leben zu rufen. Die Gier bekam einen Nährboden.
Die Gier nach dem schnellen Geld an der Börse
Der Startschuss zum Mega-Boom erfolgte durch den Börsengang der Deutschen Telekom im November 1996. Die Gier hatte nun auch den braven deutschen Durchschnittsanleger erfasst. Mit massiver Öffentlichkeitsarbeit schaffte es das ehemalige Staatsunternehmen, viele brave Deutsche plötzlich für die Börse zu interessieren. Man erinnere sich nur an den bekannten Schauspieler Manfred Krug, der damals in vielen Zeitschriften und unzähligen Fernsehpots die Vorzüge als Aktionär der T-Aktie anpries. Nie zuvor hatten so viele Anleger in Deutschland gleichzeitig einer Erstnotiz entgegen gefiebert und die T-Aktie wurde in den Medien auch als „Volksaktie“ angepriesen.
Die Gier war es, die für einen regelrechten Run auf die Telekom-Papiere sorgte und aufgrund der hohen Nachfrage musste Anfang November sogar das Platzierungsvolumen um 100 Millionen auf 600 Millionen Aktien aufgestockt werden. Mit einem Zeichnungsgewinn von über 16 Prozent erfüllte die T-Aktie, die zuvor in sie gesetzten Erwartungen zur vollsten Zufriedenheit. Und sie befriedigte die Gier der Anleger. Aber nicht nur bei ihnen! Auch seitens der Finanzindustrie verfolgte man diese Entwicklung mit äußerster Genugtuung, hatte sich doch im Handumdrehen ein völlig neues und vor allem breites Kundenpotenzial aufgetan, das bereitwillig alles annahm, was ihm angeboten wurde: Der Privatkunde!
Auf die Gier war Verlass
Bereits im Vorfeld der Emission hatte das zunehmende Interesse einen Aufschwung im DAX verursacht. Auf die sich schnell verbreitende Gier konnte man sich natürlich verlassen. Jeder Finanzprofi wusste das natürlich. Einige Mainstream-Ökonomen vielleicht nicht! Oder: Wenn Sie es wussten, suchten sie dennoch nach fundamentalen und wirtschaftswissenschaftlich erklärbaren Motiven bei den Menschen. Natürlich fanden sie viele Erklärungen für diese eine Sache, die Gier! Ermutigt durch den Erfolg der T- Aktie, versuchten immer mehr Anleger ihr Glück nun auch mit anderen Aktien, was dazu führte, dass der DAX wenige Wochen später erstmals die 3000 Punkte überschritt. Die Gier hatte ihre Aufgabe erfüllt.
Zu dieser Zeit wurden auch die letzten Planungen für ein neues Börsensegment vollzogen. Nach dem Vorbild der amerikanischen Wachtsums- und Technologiebörse NASDAQ wollte auch die Deutsche Börse ein Segment aufbauen, in dem junge erfolgversprechende Unternehmen zusammengefasst werden sollten. Die Gier, also die ständig zunehmende Bereitschaft in der Bevölkerung, Aktien zu kaufen und damit schnell reicht zu werden ebnete den Weg zur Vollendung dieser Pläne und im März 1997 startete die Deutsche Börse mit den Unternehmen Bertrandt und MobilCom den Neuen Markt.
Die Gier funktioniert
Das damals noch junge Telekom-Unternehmen MobilCom, das dem Ex-Monopolisten Deutsche Telekom Marktanteile abjagen wollte, schaffte am Tag seiner Markteinführung gleich einen Zeichnungsgewinn von fast 50 Prozent. Ermutigt durch diesen erneuten Erfolg an der Börse ließen Anleger der Gier freien Lauf, investierten immer mehr in Aktien und freuten sich über sprudelnde Gewinne. Vor allem solche die noch nie zuvor Wertpapiere gekauft hatten, erlagen ihrer Gier und entdeckten den Spekulanten in sich. Erfreuen durften sich an dieser ausgeprägten Gier vor allem Vermittler und Depotanbieter, sprich Banken und Broker.
Bei ihnen machte sich die Gier auch breit. Jeder wollte ein möglichst großes Stück vom neu gebackenen Kuchen der großen Schar Privatanleger abhaben. Ein äußerst lukratives Geschäft, denn „in Aktien machen“ mutierte in Deutschland zu Volkssport. Es hatte ja auch den Anschein, als ob es nur in eine Richtung gehen konnte: Steil nach oben. Die Gier, in Form der Aktienbegeisterung in Deutschland nahm teilweise groteske Züge an – selbst nach dem Gottesdienst am Sonntag wurden schon Börsentipps gehandelt und auch den Stammtischen oder in Vereinen gab es nur ein brisantes Thema: Aktien!
Wenn die Gier nach Geld salonfähig wird
Jeder, der gesellschaftlich irgendwie mitreden wollte, musste zum Thema „Börse“ was sagen können. Und so kauften die Deutschen munter drauf los, viel zu oft auch Papiere von Unternehmen, die sie nicht einmal kannten. Egal, die Hauptsache, es war eine Aktie. Wieder hatte Gordon Gekko Recht: Auf die Gier war Verlass! Das hatte natürlich auch zur Folge, dass dem Markt seitens der neuen „Börsen-Junkees“ – und der Gier – eine Liquidität angeboten wurde, die er eigentlich gar nicht brauchte. Dieses Überangebot sorgte dafür, dass sich weitere Jungunternehmen entschlossen, ebenfalls an die Börse zu gehen. Denn: Auf die Gier der Anleger war Verlass.
In der zweiten Jahreshälfte 1997 erlitt der Deutsche Leitindex aufgrund der Asienkrise zwar einen Rückschlag, beendete das Jahr aber mit 4224 Punkten relativ unbeschadet. Und auch der Neue Markt konnte sich durch die erzielten Erfolge über regen Zulauf bei Unternehmen und Anlegern freuen. Gier nach Geld und Kursgewinnen war salonfähig geworden. Zum Jahresende 1997 waren neben Bertrand und MobilCom bereits 15 weitere Gesellschaften im Wachstumssegment Neuer Markt gelistet. Dabei hatten alle Neuemissionen überdurchschnittliche Zeichnungsgewinne verbuchen können, der bei einigen Unternehmen wie BETA Systems, SCM Microsystems oder SER Systeme sogar mehr als 100 Prozent betrug.
Dank der Gier der Anleger glänzte das Gros der Unternehmen weniger durch gute Geschäftszahlen als vielmehr durch rasante Kurszuwächse in den Monaten nach der Emission. Dafür fanden Mainstream-Ökonomen selbstverständlich ziemlich geschwollene, aber wohl klingende wissenschaftliche Erklärungen. Doch zum Ende dieses Artikels ist euch sicher klar, was der wirkliche Grund für diese Kursgewinne war: Die Gier!
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