Technische Analyse vs. Fundamentalanalyse

Börseninteressierte fragen immer wieder, ob die technische Analyse oder die Fundamentalanalyse besser geeignet ist. Darauf gibt es keine klare und schon gar keine einfache Antwort. Denn wie immer kommt es darauf an, wozu man die eine oder andere einsetzten will. Schauen wir uns das in diesem Artikel doch einmal an

Sowohl die technische Analyse, als auch die Fundamentalanalyse haben prinzipiell dasselbe Ziel: Möglichst genau die Richtung zu bestimmen, in die sich die Kurse bewegen werden. Sie gehen diese Aufgabe nur auf unterschiedliche Weise an. Die Fundamentalanalyse untersucht die Gründe für die Kursbewegung, während sich die technische Analyse ausschließlich auf die Auswirkungen konzentriert. Sie beschränkt sich darauf, dass die Auswirkungen alles sind, was man wissen muss und dass die Gründe und Ursachen dafür nicht wichtig sind. Der Fundamentalist will hingegen wissen, warum etwas passiert ist.

Die meisten Trader bekennen sich entweder zur Fundamentalanalyse oder zur technischen Analyse. Doch in der Praxis gibt es eine ganze Menge Überschneidungen. Die meisten Fundamentalisten verfügen über ein entsprechendes Grundwissen über die technische Analyse und lesen auch Charts. Auf der anderen Seite kennen sich auch viele Techniker in der Fundamentalanalyse aus. In beiden Lagern gibt es natürlich auch die „ganz extremen“, die alles grundsätzlich in Frage stellen, was von der anderen Seite kommt. Das liegt auch daran, dass Charts und Fundamentaldaten nicht selten im krassen Widerspruch zueinander stehen.


Fundamentalanalyse vs. technische Analyse: Kurse lügen nicht!

Gerade zu Beginn eines Trends ist es oft der Fall, dass Fundamentaldaten nicht erklären können, in welche Richtung sich der Markt bewegt. Und in kritischen Zeiten, in denen der Trend anspringt oder sich dreht, scheinen sich die Ansätze von technischer Analyse und Fundamentalanalyse grundlegend zu unterscheiden. Sie aber nach einer gewissen Zeit auch immer wieder zusammen. Doch dann ist es für den Trader oft zu spät, angemessen zu handeln. Eine mögliche Erklärung für diese scheinbaren Unterschiede zwischen technischer Analyse und Fundamentalanalyse ist die, dass sich die Börse den bekannt werdenden Fundamentaldaten voraus eilt und die Entwicklung vorweg nimmt. Das heißt, der Markt liefert einen voraus laufenden Indikator für die Fundamentaldaten beziehungsweise das allgemeine Wissen zu einem bestimmten Zeitpunkt. Viele der ganz großen Börsentrends haben fast ohne feststellbare Änderung bei den Fundamentaldaten begonnen. Als die Änderungen bekannt wurden, war der Trend bereits voll im Gange.

Mit zunehmender Erfahrung entwickelt der technische Analyst ein gewisses Vertrauen in seine Fähigkeit, Charts zu lesen und zu interpretieren. Er gewöhnt sich an Situationen, in denen die Bewegungen der Märkte entgegen dem aktuellen Wissenstand laufen, und beginnt damit, die Minderheit, der auch er angehört, zu mögen. Er ist sich stets bewusst, dass die fundamentalen Gründe für die aktuelle Marktbewegung bekannt sein werden, allerdings wartet er nicht, bis die Bestätigung allgemein bekannt ist. Akzeptiert man erst einmal den Ansatz und die Grundlagen der technischen Analyse, dann wird schnell klar, warum die Techniker davon überzeugt sind, dass Ihre Methode der Fundamentalanalyse überlegen ist. Wenn man gezwungen wird, zwischen den beiden Methoden zu wählen, dann wäre eine Entscheidung für die technische Analyse nur logisch, denn bereits durch seine Definition beinhaltet der technische Ansatz auch den fundamentalen.

Fundamentalanalyse und technische Analyse kommen oft zum selben Ergebnis

Wenn die Daten bereits im aktuellen Kurs berücksichtigt sind, dann kann man sich ein Studium derselben eigentlich sparen. Und wenn man es ganz genau nimmt, dann ist praktisch die technische Analyse eine Kurzform der Fundamentalanalyse. Umgekehrt gilt das jedoch nicht! Die Fundamentalanalyse beinhaltet nämlich keine Bewertung der Marktbewegungen. Sie können jederzeit Termingeschäfte machen und ausschließlich auf technische Signale achten. Aber es ist nicht möglich, im Terminmarkt nur auf Fundamentaldaten zu achten und die Aspekte der technischen Analyse überhaupt nicht zu berücksichtigen.


Analyse und Timing

Sehr deutlich wird der Unterschied zwischen technischer Analyse und Fundamentalanalyse, wenn wir den Entscheidungsprozess in zwei Stufen einteilen: Analyse und Timing! Das Timing ist einer der wichtigsten Faktoren im Trading. Vor allem im Terminmarkt. Es ist durchaus möglich, dass man den allgemeinen Trend korrekt prognostizieren und trotzdem Geld verlieren kann. Die Margin-Anforderungen sind im Terminhandel so gering, dass bereits eine kleine Preisbewegung in die falsche Richtung einen Trader dazu zwingen kann, auszusteigen. Daraus kann einen Teil- oder Gesamtverlust der Margin zur Folge haben. Hier hat die technische Analyse einen klaren Vorteil gegenüber der Fundamentalanalyse.

Im Aktienmarkt kann ein Kassahändler, der plötzlich feststellt, dass er auf der falschen Seite steht, seine Aktien einfach halten, hoffen und warten, dass der Markt dreht. Wenn ein Trader aber Optionen auf Aktien handelt, kann er sich diesen Luxus nicht leisten. Die Strategie des Kaufens und Haltens kann im Terminmarkt nicht angewendet werden, da die Kontrakte bekanntlich befristet sind. In der ersten Phase der Prognose kann sowohl die technische Analyse als auch die Fundamentalanalyse verwendet werden. Die Entscheidung über das Timing, also die Festlegung der Einstiegs- und Ausstiegspunkte, ist ausschließlich eine Frage, die nur die technische Analyse beantworten kann.


Flexibilität

Die herausragende Stärke der technischen Analyse ist ihre Anpassungsfähigkeit im Hinblick auf nahezu jedes Handelsinstrument und jede zeitliche Dimension. Hier hat sie einen klaren Vorteil gegenüber der Fundamentalanalyse. Es gibt keinen Bereich des Börsengeschäfts, weder den Aktien-, Zins- noch den Terminmarkt, in dem sich diese Prinzipien nicht anwenden lassen. Ganz besonders im Terminmarkt ist es mit der technischen Analyse kein Problem, mehreren Märkten zu folgen, während das mit der Fundamentalanalyse nur sehr schwer bis gar nicht möglich ist. Aufgrund der immensen Datenmenge neigen Anleger, die mit der Fundamentalanalyse arbeiten, meist dazu, sich auf bestimmte Waren zu spezialisieren.

Die klaren Vorteile der technischen Analyse darf man in diesem Zusammenhang nicht übersehen. Märkte haben aktive und inaktive Phasen und zeigen meist klares Trendverhalten. Der Techniker kann seine Aufmerksamkeit und sein Kapital auch solche Märkte konzentrieren, die ein akzeptables Trendverhalten aufweisen und andere ignorieren. Mit der Fundamentalanalyse man schnell an seine Grenzen. Der Trader sein Kapital rotieren lassen und von den Vorteilen der rotation zwischen verschiedenen Märkten profitieren. Zu unterschiedlichen Zeiten kommt es in bestimmten Märkten zu stärkeren Trends, denen normalerweise ruhige und relativ uninteressante Phasen folgen, während es in anderen Märkten zur Sache geht. Die technische Analyse bietet dem Trader jederzeit die Freiheit, eine ihm genehme Branche zu wählen. Der Fundamentalanalyse hingegen verfügt nicht über diesen Freiraum.


Größerer Spielraum

Die technische Analyse bietet noch einen weiteren Vorteil: Indem wir allen Märkten folgen können, entwickeln wir schnell ein Gefühl dafür, was die einzelnen Märkte in ihrer Gesamtheit tun. Das ist ein deutlicher Unterschied zur Fundamentalanalyse. Der Techniker vermeidet den so genannten „Tunnelblick“, der zwangsläufig dann entsteht, wenn er nur einer einzigen Gruppe von Märkten folgt. Durch die teilweise engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Märkten ergeben sich aus Kursbewegungen eines Marktes oft wertvolle Hinweise auf die zukünftige Entwicklung eines anderen Marktes oder eine Gruppe von ähnlichen Märkten.

Eine weitere Stärke der technischen Analyse gegenüber der Fundamentalanalyse ist ihre Fähigkeit, die zeitlichen Dimensionen zu erfassen. Dabei ist es nicht von Bedeutung, ob wir kurzfristige Kursveränderungen nutzen, oder dem mittel- bis langfristigen Trend folgen. Es finden stets dieselben Prinzipien Anwendung. Eine Variante, die sehr oft übersehen wird, ist die langfristige technische Prognose eines Marktes. Die allgemeine Auffassung, dass Chartsder technischen Analyse nur kurzfristig von Nutzen sind und dass man für längerfristige Engagements besser die Fundamentalanalyse einsetzen sollte, ist meiner Meinung nach völlig falsch! In der Praxis haben sich gerade langfristige technische Prognosen unter Nutzung von Wochen- und Monatscharts als besonders nützlich und treffsicher erwiesen.


Technische Analyse und Fundamentalanalyse als ‚Team’

Dann gibt es noch die ganz schlauen Zeitgenossen. Die schlagen immer wieder vor, man soll doch einfach die Technische Analyse und die Fundamentalanalyse vereinen. So quasi zu einer ‚Super-Börsen-Analyse’, die dann todsichere Kursprognosen erstellt. Ja, das wäre genauso wünschenswert, wie eine Geldanlage mit hundertprozentiger Gewinnaussicht bei null Risiko. Beides ist und bleibt Theorie. Selbstverständlich kann mithilfe der technischen Analyse das optimale Timing in Phasen erreicht werden, in denen die Trendprognosen übereinstimmen. Das kann die Fundamentalanalyse nicht.

Doch leider widersprechen sich diese Prognosen oft und gerade auch in Zeiten wichtiger Trendumkehrungen. Was uns die technische Analyse nicht sagen kann, das werden wir auch von der Fundamentalanalyse nicht erfahren. Für überzeugte Techniker sind fundamentalanalytisch relevante Ereignisse nur als Auslöser technisch wahrscheinlicher Entwicklungen interessant. Ein Trader, der seiner Entscheidungen auf Basis des eigenen Urteils treffen muss, wird mit der Anwendung der technischen Analyse umso erfolgreicher sein, je konsequenter er auf die Verwässerung technischer Ansätze mit den Daten der Fundamentalanalyse verzichtet. Getreu dem Sprichwort: „Willst du etwas wissen, dann frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten!“